„Das Schreiben half mir, den Krebs zu bewältigen.“
Ein Interview mit Brustkrebsbloggerin Nicole Kultau
Nicole Kultau ist Bloggerin. In Ihren Texten und Geschichten schreibt sie auf „Prinzessin uffm Bersch“ über ihre Krebserkrankung. Im Mai 2010, im Alter von 41 Jahren, hatte sie die Diagnose Brustkrebs erhalten. Im Gespräch mit uns erzählte sie, warum sie ihre Geschichte mit anderen teilen möchte und was ihr während der Therapie half.
Was ging dir damals durch den Kopf, als du die Diagnose bekamst?
Es war ein großer Schock. Meine Welt brach sozusagen zusammen. Zum Zeitpunkt der Diagnose und lang danach verstand ich nicht, was die Erkrankung tatsächlich bedeutet und wie vielschichtig sie ist. Ich hatte sehr viele Fragen und war ängstlich. Meine Ärzte sagten mir, ich solle mir keine Gedanken machen, ich würde schon wieder gesund werden. Aber das nahm mir meine Sorgen nicht – ich brauchte Antworten.
Stattdessen wurde ich vor vollendete Tatsachen gestellt. Ich sollte eine Chemotherapie durchlaufen und brusterhaltend operiert werden. Im Anschluss planten die Ärzte eine Strahlentherapie. Im Laufe meiner Behandlung wechselte ich schließlich mein Ärzteteam und suchte mir Mediziner, die mich mehr einbanden und mir meine Fragen beantworteten.
Wie ist dein soziales Umfeld nach der Diagnose mit dir umgegangen bzw. wie bist du mit ihnen umgegangen?
Ich musste lernen, dass jeder seine eigene Zeit braucht, um diese Nachricht zu verarbeiten. Und ich musste akzeptieren, dass dies jeder auf seine eigene Weise tut. Mit einigen Freunden brach ich allerdings den Kontakt ab, weil sie mir nicht guttaten.
Für Angehörige habe ich sogar einen eigenen Blogpost darüber verfasst, wie sie am besten mit einem Krebspatienten umgehen sollten und was wir Betroffenen uns von ihnen wünschen. Ganz wichtig ist, dass wir nicht ausgeschlossenen werden. Wir wünschen uns echte Unterstützung – mehr als nur eine SMS oder einen kurzen Anruf. Sei es als Begleitung beim Arztbesuch, Hilfe im Haushalt oder einfach nur durch Zuhören. Krebspatienten wollen weiterhin wie normale Menschen behandelt werden.
Was hat dir während der Behandlung gutgetan? Was hat dir das Leben leichter gemacht und dir Kraft gegeben?
Ganz besonders mein Sohn Justin hat mich motiviert. Er wurde mit einer schweren Mehrfachbehinderung geboren und brauchte mich trotz meiner Erkrankung. Auch zwei sehr liebe Freunde haben mir geholfen, haben mit mir geweint und wenn die Tränen getrocknet waren stundenlang mit mir geredet. Meine Angst aussprechen zu können und sich offen darüber zu unterhalten war einfach sehr hilfreich. Jeder Besuch von Freunden, selbst wenn es nur ganz kurz war, gab mir unheimlich viel Kraft.
Dazu haben mir gemeinsame Unternehmungen gutgetan. Wenn es mir gut ging, habe ich schöne Dinge mit Justin unternommen. Außerdem gönnte ich mir ab und zu etwas, wozu ich sonst Nein gesagt hätte. Auch das half mir, mich besser zu fühlen.
Welchen Einfluss hat und hatte das Bloggen?
Ich habe viel schriftlich verarbeitet. Das Schreiben half mir dabei, Unaussprechliches in eine gewisse Form zu bringen und mich einfach nicht zu verstecken. Es entpuppte sich als Therapiemittel für mich, mit dem ich heute sogar Gutes bewirken kann. Das ist für mich ein ganz tolles Geschenk.
Außerdem verstanden meine Freunde durch meine Blogposts leichter, wie es mir ging. Es half ihnen dabei, mit mir umzugehen.
Ich schrieb zunächst nur auf meinem privaten Profil in einem sozialen Netzwerk. Schließlich war das der Initiator für meinen heutigen Blog. Ursprünglich wollte ich einfach nur anderen betroffenen Frauen meine Geschichte zur Verfügung stellen. Dazu kamen aber auch Recherchen und ich wollte mein Wissen und die Informationen, die ich bereits sammeln konnte, mit ihnen teilen. Dann begann auch das Netzwerken und die Auseinandersetzung mit Organisationen. Ich arbeite gerne mit Menschen zusammen, die die Krebsfrüherkennung unterstützen und den Kontakt zwischen Betroffenen fördern. Es ist einfach toll, wie wir Blogger heute anderen helfen können, indem wir unsere Geschichten teilen, Mut machen, Kontakte weitergeben.
Erinnerst du dich an besondere, schöne oder positive Momente während der Krebsbehandlung bzw. trotz deiner Situation? Welche waren das?
Das waren zum Beispiel Gespräche mit den Ärzten und medizinischen Assistenten, nachdem ich mein Ärzteteam gewechselt hatte – die waren einfach sehr lieb, hatten immer ein offenes Ohr und wissen noch heute meinen Namen. Unvergleichlich war es auch, dass sich die Betreuer von Justins Schule extra bei der Lebenshilfe anstellen ließen. So konnten sie länger für ihn da sein und er hatte vertraute Personen um sich, wenn ich nicht da war.
Mit meinem besten Freund verbinde ich ganz viele schöne Erinnerungen. Er bot mir immer seine Schulter zum Weinen, brachte mich zum Lachen, bekochte mich. Er brachte mich in die Klinik zu Operationen und war wieder da, wenn ich aus der Narkose aufwachte. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Besonders war es auch immer, wenn ich mit Justin einkaufen war – ohne Perücke auf dem Kopf, nur mit einem Tuch. Da zog er mir oft das Tuch vom Kopf und zeigte mich den Leuten, forderte sie mit den Worten „Hey, Mama schön!“ dazu auf, ihm zu bestätigen, dass ich auch ohne Haare schön bin.
Außerdem erinnere ich mich an wertvolle Momente mit Freunden, wenn wir zusammen im Garten saßen und ich ganz selbstverständlich auf Tuch oder Perücke verzichtete. Oder die vielen Kuscheleinheiten von Justin. Das Schreiben. Manchmal nur den Wind auf der Haut zu spüren, Sonnenstrahlen zu spüren. Wieder schmecken zu können, ein paar Tage nach der Chemotherapie. All das waren „Mut-Anker“ für mich. Kleine Momente, die dann doch am Ende etwas ganz Großes bedeuteten.
Wie war die erste Zeit nach dem Krebs? Was hat sich verändert?
Das erste Jahr nach der Diagnose und nach Abschluss der großen Therapieblöcke ist für die meisten Patienten ein sehr spezielles. Für dein Umfeld, Freunde und Familie, bist du wieder gesund, denn der Krebs ist ja weg. Du selbst bist aber immer noch Patientin. Du hast Operationen hinter dir, Chemotherapien, Strahlentherapie. Du bist traumatisiert. Ich habe versucht, die Normalität von vor der Diagnose zurückzugewinnen, aber das funktionierte meistens nicht so, wie ich es von mir selbst und das Umfeld von mir erwartete. Das frustrierte mich und forderte heraus. In diesem ersten Jahr nach der Diagnose kämpfte ich oft mit mir selbst.
Zusätzlich war die Angst mein ständiger Begleiter. Bei jedem Zwicken schoss mir der Gedanke in den Kopf, es könne Krebs sein. Trotzdem war es schwer, jemanden zum Reden zu finden, denn meine Gefühle und Gedanken ließen sich von Außenstehenden nicht einfach nachvollziehen.
Was hat dir bei deinem Weg zurück ins Leben geholfen?
2012, zwei Jahre nach der Diagnose, habe ich andere Brustkrebs-Patientinnen kennengelernt. Diese Gemeinschaft mit Frauen, die das Gleiche erlebt haben wie ich, half mir, Schritt für Schritt zu verarbeiten, was passiert ist. Sie gaben mir auch Halt, als ich positiv auf die BRCR2 Genmutation getestet wurde: die Gewissheit, dass mein Krebs genetisch bedingt war und mich damit mein ganzes Leben lang begleiten wird.
Die Unterstützung durch Angehörige kann noch so gut sein: wirklich verstehen, wie es einem geht und was einem bei der Diagnose Krebs durch den Kopf geht, kann niemand. Niemand, der es nicht selbst erlebt hat. Daher ist es meiner Meinung nach wichtig, sich mit anderen Patientinnen auszutauschen. Ganz egal, ob in Selbsthilfegruppen, in Foren, über Facebook oder Blogs. Auch Angehörigen empfehle ich das. Denn vielleicht ist es so einfacher zu verstehen, was die Ehefrau, die Mutter, der Vater oder der Sohn fühlt und nicht aussprechen kann.
Welche Tipps gibst du anderen Betroffenen, denen es vielleicht schwerfällt, noch positive Momente im Leben zu finden?
Ich versuche mich in der Regel mit Tipps eher zurückzuhalten. Wenn jemand gezielt fragt und um Tipps bittet, gebe ich meine persönlichen Recherche-Ergebnisse weiter. Wenn es um die Behandlung geht, verweise ich aber immer auch an den Arzt des Vertrauens beziehungsweise empfehle ich zusätzlich, sich an einen speziellen Facharzt oder eine Klinik zu wenden.
Praktische Tipps sind von der Person abhängig und ergeben sich individuell im Gespräch. Allerdings ist es immer nur ein Aufzeigen von Möglichkeiten, kein erhobener Zeigefinger. Ich versuche, Mitgefühl zu zeigen und Mut zu machen.
Ich möchte meinen Lesern aber verdeutlichen, dass man auch mal weinen und traurig sein darf. Dann sollten die Tränen getrocknet werden und man das machen, wozu man sich eben in der Lage fühlt. Auf meinem Blog versuche ich zu zeigen, dass man auch trotz Krebs schöne und wertvolle Momente haben kann.
Bilder 1 und 2: Henriette Scheibner / henslens.com
Bild 3: Nicole Kultau