„Menschen, mit denen ich lachen und weinen kann, das sind die wertvollsten“
Im letzten Jahr lernten wir Nicole Kultau kennen, die auf ihrem Blog„Prinzessin uffm Bersch“ über ihren Alltag und Umgang mit der Diagnose Krebs schreibt. In einem Gespräch erzählte uns Nicole, was sich Krebspatienten von ihrem Umfeld wünschen.
Die Diagnose Krebs war ein Schock für dich und dein Weg danach nicht immer leicht. Gab es auch positive Erfahrungen für dich in dieser Zeit und wenn ja, welche?
Die schönsten Erfahrungen, die ich während meiner Erkrankung gemacht habe, mögen ganz klein erscheinen. Für mich hatten sie aber eine ganz große Bedeutung. Eine besondere Erfahrung für mich war die Unterstützung, die ich durch die Betreuer aus der Schule meines Sohnes erfuhr. Sie ließen sich extra bei der Vereinigung Lebenshilfe anstellen, um ihn auch außerhalb der Schule betreuen zu können. So wusste ich ihn in guten Händen, wenn ich nicht für ihn da sein konnte. Auch meine Freunde sind in der Zeit mehr zusammengerückt und haben mir allein durch ihre Anwesenheit Mut und Kraft geschenkt. Ein Freund unterstützte mich sogar finanziell – etwas, das ich nie erwartet hätte, aber für viele Krebspatienten notwendig wird. Bis heute bin ich ihnen allen für ihre Unterstützung so dankbar.
Mein Umfeld hatte mich als Nicole kennengelernt und sie haben mich in der Erkrankung als den Menschen Nicole akzeptiert, der ich wurde: mit Glatze und mit Todesangst. Aber mit purem Lebenshunger und Lebensfreude.
Wer oder was hat dir am meisten geholfen?
Um mehr über die Diagnose zu erfahren, habe ich zunächst still in Internetforen mitgelesen. Es fiel mir jedoch schwer, mich dort wiederzufinden. Deshalb war ich froh, dass während der gesamten Behandlungszeit meine Ärzte eine unglaubliche Unterstützung waren. Sei es mein Radiologe oder meine Frauenärztin. Sie haben sich um Dinge gekümmert, von denen ich nicht wusste, wie ich sie hätte bewältigen sollen. Selbst mein Zahnarzt hat sich Zeit für mich genommen und mir Lektüre empfohlen, durch die ich Kraft schöpfen konnte. Manchmal waren es aber auch wildfremde Menschen, die mich aufgrund des Tuchs auf meinem Kopf ansprachen und einfach nur „Alles Gute für Sie“ sagten.
Menschen, mit denen ich lachen und weinen konnte, das waren die wertvollsten.
Was tat dir ganz konkret gut?
Freunde, die sich bei mir gemeldet haben und einfach nur gefragt haben, ob sie mir etwas Gutes tun können. Sei es meinen Sohn für ein paar Stunden mitzunehmen oder mir etwas zu kochen. Sie haben aber auch meine Koffer gepackt, mich in die Klinik gefahren oder an Arztgesprächen teilgenommen. Das waren ganz wertvolle „Zeitgeschenke“. Wenn man ein kleines, verlässliches Umfeld hat, das einem bei Bedarf die Wohnung putzt, sich um den Garten kümmert oder für dich einkaufen geht, dann ist das großartig. Auf dieses Umfeld sind Krebskranke angewiesen. Viele in meinem Umfeld haben es absolut richtig gemacht und mir gutgetan.
Wie hast du deinem Umfeld vermittelt, was du brauchst?
Ich wusste anfangs gar nicht, wie ich meine Gefühle einsortieren sollte und was ich brauche. Meine größte Sorge war mein Kind, also habe ich mein Umfeld wissen lassen, dass ich Unterstützung für ihn benötige. Ich wusste ganz genau, dass ich meine Freunde jederzeit hätte anrufen können, das hat vieles leichter gemacht. Doch nicht immer habe ich mich das getraut. Ich konnte nicht zum Ausdruck bringen, welche Hilfe benötigt wird. Da muss das Umfeld aktiv werden und fragen: „Kann ich dir etwas Gutes tun?“.
Welche negativen Erfahrungen hast du gemacht?
Einige Menschen in meinem Umfeld haben falsche Erwartungen an mich gestellt. Erwartungen, die ich nicht erfüllen konnte. Zum Ende oder nach Abschluss der Behandlung erhofft sich das Umfeld von krebskranken Menschen, wieder „normal“ zu sein und so zu funktionieren, wie vorher. Das geht aber nicht. Nach der Behandlung sind Krebskranke traumatisiert. Sie werden immer noch von Spätfolgen und von der Wirkung einiger Medikamente oder Behandlungen geplagt. Ich wusste nicht, wie ich die nächsten Schritte gehen sollte und dennoch wurden Ansprüche an mich gestellt, denen ich am besten sofort gerecht werden sollte. Ich musste lernen, von solchen Menschen loszulassen.
Welche Aussagen und welches Verhalten haben dich verletzt?
„Du siehst ja gut aus, dann kann es gar nicht so schlimm sein“ – das ist eine Aussage, die ich besonders häufig hören musste. Allerdings kann man als Außenstehender nie wissen, wie es Betroffenen wirklich geht. Einige in meinem Umfeld sprachen auch darüber, dass ich bald sterben würde. Das hat mich sehr verletzt. Während der Bestrahlung sagten auch einige, dass ich mir jetzt ja einen Job suchen könne, um meine finanzielle Situation zu verbessern. Wie es mir mit der Bestrahlung und den Folgen erging, hat keiner gefragt. Erst vor kurzem habe ich in einer Lesung gesagt – und ich kann es nicht oft genug sagen: Es gilt manchmal auszuhalten, dass man als Begleitung still zu sein hat und dem Erkrankten ein Stück Raum schenkt. Diesen Freiraum brauchen wir, um klare Gedanken zu fassen und zu überlegen, wie es mit mir weitergeht.
Was waren deine größten Sorgen?
Allein gelassen zu werden! Ich wünschte, man müsste sich als Krebskranker nicht so verlassen fühlen. Für das Umfeld geht das Leben ganz normal weiter. Doch Krebskranke kämpfen mit immer neuen Problemen, die die Erkrankung mit sich bringt. Es müssen nicht viele Freunde sein. Aber wenn im Umfeld dieser eine Mensch dabei ist, der in schwierigen Situationen immer da ist, dann ist das Gold wert und nimmt viele Sorgen.
Welche Aktivitäten mit deinen Freunden haben dir in der Zeit geholfen?
Gute Gespräche haben mir sehr geholfen. Da wusste ich, man hört mir zu und ist für mich da. Auf diese Freunde konnte ich mich immer verlassen. Kleine Aufmerksamkeiten wie eine Karte, eine SMS, oder ein gutes Buch haben mir auch gutgetan. Für Angehörige, die sich unsicher sind, wie sie unterstützen können, ist ein Gutscheinheft eine tolle Idee. Da können verschiedene Aktivitäten oder Hilfestellungen enthalten sein, die Freunde gemeinsam zusammenstellen können. Der beschenkte Patient wählt dann selbst aus, was er gerade braucht. Es fällt nicht immer leicht, zu äußern, was man braucht oder welche Hilfestellung man sich wünschen würde. Ein Gutscheinheft kann dabei helfen, diese Hürde zu überwinden.
Was sollte jeder im Umfeld eines Krebspatienten wissen?
Ein Krebskranker befindet sich in einer absoluten Ausnahmesituation. Nicht seine Erkrankung sollte im Vordergrund stehen, sondern die Person selbst mit ihren vielen Talenten und Fähigkeiten. Mit all den Dingen, die sie gerne unternimmt und mit ihrem Know-how, das sie mitbringt. Wir können noch immer ein Familienmensch sein und noch immer ein Freund sein. Wir sind immer noch der Mensch, der wir vor der Diagnose waren, auch wenn wir nicht mehr all die Dinge tun können, die von uns erwartet werden. Wir möchten nicht ausgeschlossen werden, sondern Teil des Umfelds bleiben und mit unserer Familie, unseren Freunden und Arbeitskollegen den Kontakt halten. Das Wichtigste: Wir möchten nicht vergessen und ins Abseits gedrängt werden.
Eine offene Kommunikation hilft uns, unsere Scheu zu überwinden und Hilfe anzunehmen. Das Beste ist immer den Betroffenen zu fragen.
Auch auf ihrem Blog, hat sich Nicole mit der Frage beschäftigt, was sich Krebspatienten von ihrem Umfeld wünschen. Ihre detaillierte Antwort finden Sie hier.
Bild 1: Henriette Scheibner / henslens.com