Mit Kunsttherapie Lebensqualität bei Krebs steigern

Die Kunsttherapie kann Krebspatienten bei der Krankheitsverarbeitung unterstützen. Dank ihr gelingt es Patienten häufig, neue Kraft zu schöpfen, Unsicherheiten auszudrücken, sich emotionalen Konflikten zu stellen, zu mehr Selbsterkenntnis zu gelangen und Stress zu reduzieren. Auch bei der Behandlung von körperlichen Symptomen kann sie unterstützend wirken. Wie das gelingen kann, erfahren Sie in nachfolgendem Artikel.

Pinsel auf einem Bild

Warum Kunsttherapie bei Krebs?

Die Kunsttherapie oder künstlerische Therapie hat sich zu einer eigenständigen Therapieform entwickelt, die Konzepte aus der Kunst mit therapeutischen Ansätzen kombiniert. In den vergangenen Jahren wurden vermehrt Studien mit Krebspatienten durchgeführt, um die Wirkung der Kunsttherapie auf den Krankheitsverlauf zu belegen.1 Bisherige Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Kunsttherapie zur Steigerung des Wohlbefindens beitragen und Krankheitsbeschwerden verringern kann.2Denn: Sehr häufig fehlen die Worte oder reichen nicht mehr aus, um schmerzhafte Erfahrungen auszudrücken. Die Kunsttherapie kann Sicherheit in einem geschützten Raum bieten und Betroffene stärken, sich der Krankheit mit all ihren Herausforderungen zu stellen – in Zusammenarbeit mit den Therapeuten.

Kunsttherapie bei Krebs – Wie alles begann

Seit der Antike wird Kunst eingesetzt, um zu heilen. Bereits Goethe betonte, dass Farben Stimmungen und Emotionen auslösen und beruhigend oder anregend wirken können. Die Begründung der Psychoanalyse und die Entdeckung des Unbewussten durch Freud schafften schließlich die Möglichkeiten, seelische Aspekte in Bildern und Träumen zu interpretieren.3 Auch der Schweizer Psychiater Carl G. Jung hat selbst die positiven Effekte des Ausdrucks per Bild erfahren und diesen Ansatz in seine Behandlungen aufgenommen.4 Immer mehr Psychiater nutzten schließlich ab dem beginnenden 20. Jahrhundert das bildnerische Gestalten in der psychiatrischen Behandlung.5

Die Kunsttherapie als therapeutische Disziplin entwickelte sich vor allem in den 1930er Jahren mit der Entstehung der Zentren für Ergotherapie (Rehabilitation durch Lernen) und Betreuungstherapie. Um diese Zeit setzten auch bereits erste Privatkliniken in Deutschland Kunsttherapien ein.6 1961 erschien das erste amerikanische Journal zur Kunsttherapie (American Journal of Art Therapy). Nach Deutschland kam der Begriff der Kunsttherapie vor allem durch eine Übersetzung von Edith Kramers Buch „Kunst als Therapie mit Kindern“ aus dem Jahr 1975.7 Die Sicht auf Kunst als Möglichkeit der Wahrnehmung von Farben und Formen und als Konstruktion der Wirklichkeit hat schließlich den Weg für die Kunsttherapie geebnet.3 Erste Studienabschlüsse wurden national und international geschaffen. Alle Formen der Kunsttherapie verfolgen das Anliegen, Heilungs- und Entwicklungsprozesse anzuregen, damit Menschen, die sich gerade in schwierigen Lebenssituationen befinden, persönliche Freiheit und Sinn finden8ohne jede Interpretation der Absicht oder des künstlerischen Ergebnisses. Kunsttherapie als Disziplin ist also keine Psychotherapie. Kunsttherapeuten begleiten vielmehr die Gestaltungsprozesse und unterstützen Patienten dabei, die für sie angemessenen Formen von Ausdrucksmöglichkeiten zu finden.8

So kann Kunsttherapie bei Krebs wirken

Egal, welche kreative Ausdrucksmöglichkeit gewählt wird – Malen, Zeichnen, Bildhauerei, Modellierung, Collage, Fotografie, Schreiben, Marionettenspiel, Video, Tanz, Theater, Musik, Gesang, Poesie, Lesen usw. das Ziel besteht darin, dass der Patient sich einbringt, Entscheidungen trifft und sich gestalterisch ausdrückt. Die Kunsttherapie bietet dem Patienten die Möglichkeit, seine Umwelt direkt über die Sinne wahrzunehmen und zu begreifen, um so Kontakt mit sich selbst (Gefühlen, Träumen, Unbewusstem usw.), aber auch mit anderen aufnehmen zu können. Sie kann für den Patienten einen Raum schaffen, in welchem Handlungen und Denkmuster beobachtet, weiterentwickelt und sinnvoll verwandelt werden können.9 Über das Verlassen der passiven Rolle kann der Patient das Gefühl von Kontrolle über Körper und Geist zurückgewinnen.1 Auf diese Weise kann die Kunsttherapie folgende Prozesse anstoßen:

  • Kreativität neu entdecken9
  • die Sinne befriedigen
  • einen Sinn im Leben und Daseinsqualität (wieder-)finden
  • auf Unerwartetes besser reagieren
  • den Alltag auf positive Weise verändern
  • Geschmack, Freude und technische Fähigkeiten stimulieren
  • Selbstheilungskräfte mobilisieren.9

 

Durch den geschützten Raum, der einen Moment des Vergessens der Krankheit bietet, kann Kunsttherapie Krebspatienten dabei helfen:

  • die Krankheit besser zu verarbeiten9
  • sich besser in den Heilungsprozess zu integrieren9
  • das Selbstbild und die Fremdwahrnehmung zu fördern9
  • einen Bereich zu öffnen, in dem die Chance auf Fortschritt und positive Entwicklung besteht9
  • die Kommunikation mit Angehörigen und Therapeuten usw. zu fördern9
  • von Schmerz abzulenken
  • neue Kraft zu schöpfen und sich neu zu positionieren
  • Entscheidungen zu treffen und eine Sache zu beherrschen, also Kontrolle zurückzugewinnen
  • die Motorik zu verbessern.

Für wen ist die Kunsttherapie geeignet?

Die Kunsttherapie zielt nicht darauf ab, Künstler auszubilden. Künstlerisches Talent wird also nicht benötigt. Sie kann für Patienten hilfreich sein, die Schwierigkeiten mit Ausdruck, Beziehungen und Kommunikation haben. Sie richtet sich an Menschen mit unterschiedlichen Erkrankungen und krisenhaften Entwicklungen in allen Lebensphasen,9 die z. B.:

  • Schmerzen haben
  • Angst oder Niedergeschlagenheit zeigen
  • ihre innere Orientierung verloren haben
  • nicht handeln oder ihre Qualen und Leiden nicht ausdrücken können
  • lange Krankenhausaufenthalte hinter sich haben.

Krebspatienten bringen oft eine hohe Bereitschaft zur Kunsttherapie mit, auch wenn sie bislang nichts mit Kunst zu tun hatten.10 Viele von ihnen haben ein großes Bedürfnis, Gefühle wie Angst, Verzweiflung oder Wut künstlerisch zu verarbeiten.

„Das Erleben von Weitblick, Tiefe und schöner Aussicht beim Malen sowie die Tatsache, dass man diese selber geschaffen hat, kann in einer Krisensituation, in der jegliche Perspektive und Aussicht fehlen, hilfreich sein.“

Kunsttherapeutin Dr. Florica Marian von der Universität Bern

Medizinische Erfolge in der Kunsttherapie bei Krebs

Eine Studie von Dr. Marco Warth und Kollegen hat die Wirkung von Musiktherapie in der Palliativversorgung untersucht und herausgefunden, dass Musiktherapiedas Wohlbefinden, das Stresslevel und das Schmerzempfinden positiv beeinflussen konnte. Nach der musiktherapeutischen Behandlung gaben einige Patienten an, sich wohler, entspannter und weniger erschöpft zu fühlen. Gestützt wurden die Ergebnisse durch medizinische Parameter wie z. B. die periphere Durchblutung.2 Dies unterstreicht die Bedeutung von künstlerischen Therapiemaßnahmen in der Krebstherapie.1 Auch wenn die Effektivität der künstlerischen Therapien insgesamt noch kaum erforscht ist, gilt es heutzutage als gut gesichert, dass Kunsttherapien Entspannung bewirken und so zu Stress- und Angstreduktion führen, was sich positiv auf das körperliche Wohlbefinden und die allgemeine Lebensqualität auswirken kann.1 Die Studie macht Hoffnung, dass Kunsttherapien in der Lage sind, Nebenwirkungen der Krebstherapien zu lindern, Schmerzen zu reduzieren, Erschöpfung und Depressionen die Stirn zu bieten und wieder zu mehr Vitalität zu gelangen.

Welche Optionen gibt es bei der Auswahl einer Kunsttherapie?

Die Kunsttherapie umfasst alle künstlerischen Disziplinen. Der Patient wählt diejenige, mit der er am besten seine Gefühle entdecken kann. Hier einige Beispiele:

  • Malen: Ausmalbücher für Erwachsene können Hinweise auf die eigene Psyche liefern, etwa durch die verwendeten Farben, die Art der Strichführung usw. Malen fördert die Konzentration und das Loslassen, es muss an nichts mehr gedacht werden.11 Das kann das Stressempfinden reduzieren.
Frau, die ein Bild mit Farben ausmalt.

 

  • Musik: Eine Musiktherapie kann dabei unterstützen, einen Zugang zu seinen Gefühlen zu finden und diese auszudrücken. Sie besteht aus der Arbeit mit Rhythmen und Vibrationen. Man spricht von rezeptiver Musiktherapie, wenn die Person Musik hört, und von aktiver Musiktherapie, wenn die Person selbst musiziert. Die Musik kann Kommunikationswege öffnen, Trost spenden, Mut und Lebensfreude bringen und so den ganzheitlichen Heilungsprozess unterstützen.12
  • Tanz: Eine Tanztherapie kann helfen, sich von Belastungen zu befreien, Vertrauen in den Körper zu erlangen und Lebensfreude zu erfahren. Achtsame Bewegungen und freies Tanzen können die Einheit von Körper und Geist stärken. Über Rhythmus und Klang wird eine körperliche und sinnliche Ebene aktiviert.13 Mit dem Tanz des Kriegers kann ein Patient zum Beispiel seine Wut ausdrücken.
Eine Gruppe von Frauen, die gemeinsam tanzen

 

  • Plastische Kunst: Zeichnen, Collagen, Töpfern, Kohlezeichnungen, Druck, Kalligrafie, Modellieren usw. – es gibt eine Vielzahl an Werkzeugen, die als kunsttherapeutische Übungen eingesetzt werden können. Hierbei setzen sich Patienten auf schöpferische Weise mit ihrer Krankheit auseinander und erkennen dadurch oft krankmachende Tendenzen. Gegen die gilt es dann aktiv anzugehen und sie in Potenziale zu verwandeln, die die Gesundheit fördern können.14

Wie läuft eine kunsttherapeutische Sitzung ab?

Eine Kunsttherapiesitzung findet in Einzelbetreuung oder in kleinen Gruppen statt, in klinischen oder psychosozialen Einrichtungen oder einer freien Werkstatt, die eher an ein Kunstatelier als an eine Therapiepraxis erinnert. Ebenso sind Betreuungen zuhause möglich. Oft bietet eine Gruppentherapie einen hilfreichen Rahmen, der gegenseitige Anregung, vertrauensvollen Austausch und soziales Lernen möglich macht.15

Bevor der Schaffensprozess begonnen wird, versucht der Kunsttherapeut, die Motive und therapeutischen Ziele zu bestimmen, die den Patienten zu dieser Therapieform führen, um ihn besser anleiten zu können. Er gibt dann Ratschläge zu den vom Patienten gewählten Techniken und ermutigt diesen, sich auszudrücken und visuell darzustellen, womit er sich gedanklich beschäftigt. Manchmal beginnt der Patient direkt mit einem Werk, ohne vorab ein Ziel zu haben. Es ist möglich, dass einige Sitzungen ausreichen, um das Problem zu erfassen. Die Therapie kann sich aber auch auf mehrere Sitzungen ausdehnen. Eine Kunsttherapiesitzung kann eine bis zwei Stunden dauern. In ihrem Fokus stehen:

  • der Ausdruck, ob verbal oder nonverbal, und das Erlernen, mit dem Therapeuten selbst oder innerhalb der Gruppe über ein künstlerisches Thema zu kommunizieren oder sich über den Umweg der Kunst auszudrücken,
  • das künstlerische Schaffen und das Erlernen, seine Gedanken zu organisieren und zu strukturieren, um ein Werk mit Sinn zu erschaffen,
  • das Nachdenken über die Kreation und das Erlernen, Wörter mit seinen Gefühlen und seinem Empfinden zu verbinden.

Ein Gespräch zwischen Therapeut und Patient schließt die Sitzung ab. Indem das Kunstwerk gemeinsam betrachtet wird, können aufgetauchte Bildinhalte besprochen, reflektiert und bearbeitet werden.15 Ebenso wird der Patient ermutigt, sich auf die Therapie und die in ihr gemachten Erfahrungen zu stützen, um eine Veränderung der Wahrnehmung seiner selbst und seines Lebens in Gang zu setzen.

„Plötzlich wird der Sinn ihres Werks sichtbar. Es ist, als ob ihnen eine lange geheime Tatsache in die Augen springt.“

Dr. Jean-Pierre Klein

  1. https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/leben-mit-krebs/kuenstlerische-therapien-in-der-krebsbehandlung.html, zuletzt abgerufen am 15.03.21.
  2. Warth M et al: Trajectories of Terminally Ill Patients' Cardiovascular Response to Receptive Music Therapy in Palliative Care. Journal of Pain and Symptom Management. Vol. 52 No. 2. Ausgabe August 2016. Abrufbar unter: http://www.jpsmjournal.com/article/S0885-3924(16)30044-6/fulltext
  3. http://www.kunsttherapie.de/kunsttherapie/geschichte.html, zuletzt abgerufen am 17.03.21.
  4. https://www.aerzteblatt.de/archiv/97655/Carl-Gustav-Jung-Vom-kollektiven-Unbewussten-und-den-Archetypen, zuletzt abgerufen am 15.03.21.
  5. H. Prinzhorn: Bildnerei der Geisteskranken. Ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung. Springer, Berlin 1922 sowie W. Morgenthaler: Ein Geisteskranker als Künstler: Adolf Wölfli. Medusa-Verlag, Wien 1985.
  6. I. Marbach: 33 Jahre Margarethe Hauschka-Schule. Boll 1995. (Festschrift)
  7. https://www.aerzteblatt.de/archiv/63338/Kunsttherapie-Ohne-Scheu-vor-dem-Begriff-Kunst, zuletzt abgerufen am 15.03.21.
  8. https://www.kunsttherapie-studieren.de/kunsttherapie-studium-informationen/, zuletzt abgerufen am 17.03.21.
  9. http://www.kunsttherapie.de/kunsttherapie.html, zuletzt abgerufen am 17.03.21.
  10. https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Bald-stellte-sich-ein-Wohlbefinden-ein-wenn-ich-nur-ans-Malen-dachte-328396.html
  11. Schuster; Ameln-Haffke; Selbsterfahrung durch Malen und Gestalten; Göttingen, 2021. Abrufbar unter: https://pubengine2.s3.eu-central-1.amazonaws.com/preview/99.110005/9783840930591_preview.pdf
  12. https://www.stiftung-kinderkrebs.ch/musiktherapie/, zuletzt abgerufen am 17.03.21.
  13. https://www.tanztherapie-nach-krebs.de/tanztherapie.html, zuletzt abgerufen am 17.03.21.
  14. https://www.anthroposophische-kunsttherapie.de/anthro-medizin/kunsttherapie/was-ist-anthroposophische-kunsttherapie-bvakt.html, zuletzt abgerufen am 17.03.21.
  15. http://www.kunsttherapie.de/kunsttherapie/zielgruppe.html, zuletzt abgerufen am 17.03.21.

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